Anneliese Kuhk - Texte

Rezensionen über Anneliese Kuhk

 

Michael Stone 1980

Will Grohmann hat sich schon vor 29 Jahren wohlwollend über sie geäußert, Paul Reißert hat sie gefördert, Einzelausstellungen bei Rudolf Springer, bei Anja Bremer, bei Jule Hammer in der Universität Edmonton, Kanada, in der Parkway Focus Gallery, London, zweimal war sie in der Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes vertreten, es gibt kaum einen Bezirk in der Stadt Berlin, in dem nicht eine ihrer eigenwilligen Kompositionen als Mosaik oder Wandbild in einer Schule, einem Erholungsheim, einer Bücherei oder einem Altenheim zu sehen wäre – dennoch ist sie fast unbekannt. Die Erklärung? Klappern gehört nicht zu ihrem Handwerk! Und dazu kommt, dass sie klein, eher zierlich gebaut ist, selten in Erscheinung tritt und wenn, mit der für sie gebotenen Zurückhaltung, so dass man ihre kraftvollen, zum Teil spöttisch kritischen, zum Teil auch bösen Visionen gar nicht mit ihrer Person in Verbindung bringt. Man traut sie ihr nicht zu! Dabei vertritt sie keine Richtung, keine Partei, kein spezifisches Anliegen, sondern nur sich selbst. Aber ihre minutiös ausgeführten Zeichnungen, ihre kühnen Collagen und nicht minder originellen Ölbilder haben es in sich. Dem Phantastischen, dem Witzigen, ja dem psychisch Lädierten und angstvollen Gefühlen, die sie um sich sieht und vielleicht auch in sich trägt, verleiht sie den Reiz einer immer wieder überraschenden Ästhetik.

 


 

Michael Stone 1983

Traumgebilde einer noch nicht Verzweifelten

Ein Galerist, der Name tut nichts zur Sache, ihr persönlich wohlgesinnt und nichts ahnend, was ihn erwartete, kam in ihr Atelier, sah sich kurz um und war nach zehn Minuten wieder draußen. „Das würde ich nie ausstellen“, sagte er zum Abschied, sichtlich erschrocken. Die Ölbilder, Collagen und Zeichnungen von Anneliese Kuhk sind Traumgebilde am Rande der Verzweifelung. Surreale Monstren des Alltags, nennt sie Prof. Schmied. Wer sich auf ihre Betrachtung einlässt, erhält ein zweifelhaftes Geschenk: Röntgenaugen mit der Fähigkeit, durch Mauern und Pelzmäntel zu sehen. Dabei hat sie zwei ungewöhnliche Gaben: sie kann den Schrecken durch Witz relativieren und dem Greuel einen ästhetischen Reiz abgewinnen. Wäre die Deformation des Menschen und seiner Umwelt nicht evident, könnte man sich an der eigenartigen Form- und Farbgebung ihrer Bilder und dem so peniblen Wechsel von Licht und Schatten in ihren Zeichnungen ergötzen. Stattdessen wird man jedes Mal mit einem Stück individueller Wahrheit konfrontiert, mit der man sich auseinanderzusetzen hat. Es gibt nicht so sehr viele Menschen, die das können oder wollen. Bei den meisten steht die Frage an erster Stelle „Was soll das bedeuten?“ oder „was haben sie sich dabei gedacht?“, nicht aber „Was empfinde ich dabei?“. Die Bilder von Anneliese Kuhk sind jedoch Berichte von Entdeckungsreisen in die Beschaffenheit unserer Zeit, die jeder auf seine Weise unternehmen könnte, ja müsste, der sich noch etwas Empfindlichkeit für die Zerstörung jeder Harmonie bewahrt hat. Es sind keine Klage-, Protest- oder Kampfbilder; sie registrieren vielmehr mit fast ungläubigem Erstaunen, wie weit man uns schon gebracht hat. Und zwar ohne polemische Überzeichnung und ohne das Pathos des Mitleids. Nicht der Zorn führt Pinsel oder Feder, sondern das kalte Entsetzen.

 


 

Jürgen Beckelmann, Tagesspiegel 3.12.1987

Ein wenig spöttisch und sehr weise
Anneliese Kuhk in der Galerie Noè

Gleich eingangs nehmen großformatige Zeichnungen den Blick gefangen. In karger Landschaft hocken Muskelmänner, eigentümlicherweise so dünnhäutig nun allerdings, dass sie wie „gläserne Menschen“ aussehen. Sie haben die Knie an die Brust gezogen, die Hände an die fast noch kindlichen Lippen gehoben, die Augen nach oben gedreht – dort werfen Hände einen Ball ins Irgendwo, womöglich sogar ein Himmelsgestirn -: „Erstaunte Athleten“. Der imponierende Eindruck, den sie gerne machen möchten, gelingt ihnen nicht so ganz. Und „Adonis im Strandbad“; Frauen umschwärmen ihn, beten ihn an, berühren seine Glieder, dabei schaut hinter dem Jüngling, der da noch in Stolz auf seine Schönheit glänzt, schemenhaft bereits der alte Mann hervor, der er unweigerlich einmal werden wird. Einem armen Menschenwesen, das seine Haare schützend um sich breitet wie ein Baum seine Krone, sitzt die „Angst in Nacken“. Gleichzeitig mit drei Augen blickt es erschrocken, schreckenssüchtig beinahe, schielend in verschiedene Richtungen: Woher kommt die Gefahr? Ein stilles, überlegenes Lächeln, ein wenig spöttisch und sehr weise, ein gleichsam existenzieller Humor durchwirkt die Bilder und Collagen von Anneliese Kuhk, alle 1968/87 entstanden, ausgestellt in der Galerie Noè. Anneliese Kuhk – eine Künstlerin, die zur Meisterschaft gelangt ist. Sie ist gebürtig aus Eichdorf, Kreis Kamin in Pommern, als dies noch nicht zu Polen gehörte. Sie studierte an der Kunstgewerbeschule Stettin. Ein großes Bild zeigt einen „Athleten“: Mit enorm schwungvoller Geste, als ober einen unsichtbaren Diskus schwänge, dreht er sich vor einem scharf gespannten Drahtzaun. Die Drähte sind „verschrägt“. Die Muskelanspannung des Mannes findet darin ihr formales Pendant. Ein Bild voller Dynamik, Eleganz, nur ein individuelles Gesicht ist dem Sportler nicht vergönnt. Es ist für die angestrengte wettbewerbliche Tätigkeit auch nicht unbedingt vonnöten. Eine besondere, ihre „eigenste“ Leistung vollbringt Anneliese Kuhk in übermalten Collagen, Klebebildern also, aus Illustrierten und sonstigem Bildmaterial zusammen-gesetzt, als dann mit Farbe überarbeitet. Die Collagen werden zu eigentümlich strukturierter, aller meistens lyrischer, zuweilen ironisch-feingewürzter Malerei. Tänzerisch bewegt sich ein „Mädchen im Wind“. Rot leuchtete der „Vollmond am Orinoko“, an dessen Ufern zwei Frauen wie verzaubert dahin schreiten, auf ihren Füssen dahin gleiten; auch ein Hauch von Tragödie liegt in der Luft. Aber fratzenhaft dümmlich blicken die Männer drein, die, ihre Zähne fletschend, Gewehre im Anschlag haltend, während zu ihren Füssen Menschen im Feuer brennen. Der in diesem Fall bloß scheinbar poetische Titel lautet: „Nur der Himmel darüber schön“. Hohe künstlerische Kultur realisiert sich auch in kleinen und kleinsten Blättern: „Bildnis“, Mädchen mit Hut“, „Auf dem Podest“. Arbeiten einer Malerin, die alles über die Moderne weiß, verarbeitet hat, über starke Eigenheit und die gar nicht hoch genug zu schätzende Fähigkeit verfügt, Phantasie und formale Disziplin zu verbinden – solchermaßen, dass man nach der Besichtigung dieser Ausstellung bei weiteren Begegnungen mit ihren Arbeiten nun mehr unwillkürlich sagen wird: „Aha, ja natürlich, ein Bild von Anneliese Kuhk!

 


 

Heinz Ohff 1994

Vorwort von HEINZ OHFF, Kunstkritiker und Schriftsteller, zum geplanten Katalog 1994

Bei Anneliese Kuhk geht Zeichnung unversehens in Malerei, Malerei unvermittelt in Zeichnung über. Sie lebt und arbeitet, wie es scheint, an den Nahtstellen von Techniken, die bei ihr enger mit dem Inhalt ihrer künstlerischen Arbeit verbunden sind als bei den meisten anderer Zeichnern und Malern. Selbstbewusst und auf ihr Können vertrauend, dabei alles verschmähend, was sich an Stilistischem – und meist Modischem – als alleinseligmachend aufspielt, hat Anneliese Kuhk mit außerordentlicher Konsequenz ihr breites Gesamtwerk gleichsam im Verborgenem geschaffen. Sie gehörte im Nachkriegs-Berlin zu den bekannteren jüngeren Künstlerinnen und übernahm viele öffentliche Aufgaben, dann jahrelang in Isolation und ganz auf sich gestellt entwickelte sie ihren eigenen Stil – oder besser gesagt: ihre eigene Form. Das Abseits von Fort- und Rückschritt in den aktuellen Kunstbereichen hat sich bei ihr gelohnt. Sie musste ihre eigenen Wege finden und fand sie beinahe schlafwandlerisch. Hilfreich dabei war ihr die Collage, die fremde Bildsubstanz, die Anneliese Kuhk bald sicher zu handhaben verstand, indem sie sich die Arbeiten durch Überoder zurechtzeichnen einverleibte, anglich. Das Klebestück handhabt sie nicht anders als die Farbe, nämlich wie ein beliebiges Kunstmittel. Dabei bleiben scharfe Konturen an den Bildkanten oft erhalten und geben den Blättern ihr spezifisches Profil. Unwesendlich sind ihr dann auch die beiden großen Pole geworden, zwischen die wir einen Großteil der Gegenwartskunst gespannt sehen: gegenständlich und abstrakt. Bei Anneliese Kuhk wächst Abstraktes aus Figuren, die dem ewigen Kanon menschlicher Gestalten in der Kunst der Vergangenheit und Gegenwart entnommen scheinen. Und aus Gestischem oder nicht der sichtbaren Wirklichkeit entnommenen Formen entstehen doch immer wieder Figuren und Gegenstände. Beide Welten sind intensiv ineinander verschlungen. Freigesetzt worden ist dabei ein Übermaß an künstlerischer Phantasie. Sie geht aus den Bildern und Blättern unmittelbar dem Betrachter entgegen, man glaubt verborgene Energie gerade körperlich zu spüren. Dabei legt Anneliese Kuhk wert auf sorgsame Komposition oder Konstruktion ihrer Arbeiten. Im Abseits entstanden sind Perlen moderner oder, besser gesagt, zeitloser Kunst.

 


 

Werner Langer, Tagesspiegel 4.2.1983

Eine sanfte Surrealistin
Anneliese Kuhk in der Galerie Witte-Baumgartner

Nach fast fünfzehnjähriger Unterbrechung legt Anneliese Kuhk neue Arbeiten vor, ungefähr dreißig Ölbilder, Federzeichnungen und Collagen sind es, die in den letzten Jahren entstanden. Zweimal zeigte sie bereits ihre Werke in der Galerie Springer, allerdings malte sie damals noch ungegenständlich, Ausstellungen in Kanada und England folgten. Aus Pommern, dem Kreis Kamin, stammend hatte sie in Stettin die Kunstgewerbeschule besucht, eigentlich ist sie eher Autodidaktin als lang studierte, sozusagen professionelle Künstlerin. Daher mag die Scheu vor dem geschäftigen Ausstellungsbetrieb rühren, denn nur zögernd, unter Drängen bringt sie eigene Stücke an die Öffentlichkeit. Die verstorbene Unika Zürn, surreale Zeichnerin und Schriftstellerin, gehörte ihrem Freundeskreis an, und wer auch immer wen beeinflusste und inspirierte, seit langem malt und zeichnet Anneliese Kuhk surreal. Auf grün und ocker abgestimmten Hintergründen legt sie meist ihre Szenerien an, geht traum- und märchenhaft, vielfach im Sinne des Wiener phantastischen Realismus, den Wieland Schmied einst in Westdeutschland und Berlin vorführte, auf figürliche und landschaftliche Themen ein. Zum „letzten Tango“ setzt sie ein Pärchen vor violett dräuenden Himmel, trügerisch goldgelb zeigt sich ein „Abend im Haff“ und grünköpfig, großäugige Retortenmenschen marschieren, demonstrierend mit dekorative wehenden roten Fahne; als wären sie nicht Herr ihrer selbst, wirken überhaupt manche Figuren, die fahl mit großen Häuptern erscheinen, äußerst puppenartig und marionettenhaft. Mit spitzer Feder führt die Ausstellerin dann zeichnerische Arbeiten aus, setzt gern Linien dicht nebeneinander, um die Fülle der Körper, aber auch der Strukturen sichtbar zu machen. „Friedenstaube“ und „Strohhalm“, an dem sich offenbar ein Zyklop zu schaffen macht, heißen schwarzweiße Blätter, während farbige Collagen, die noch malerisch überarbeitet und ergänzt werden, sich mondän-makaber des „Vamps“, Kavaliers“ und einer Familien- “Idylle“ annehmen und den Hang der Künstlerin zu einem sanften, die Dinge nachsichtig behandelnden Surrealismus betonen.